Das vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank geförderte Forschungsprojekt mit einer Laufzeit von 17 Monaten hat sich zum Ziel gesetzt, die zahlreichen aktuellen Forschungsdiskussionen der internationalen Forschung zum frühneuzeitlichen Supplikenwesen als wichtigstem „Kommunikationskanal“ zwischen Herrschaft und Untertanen in der Frühen Neuzeit aufzugreifen. Die mediävistische Forschung hat die mittelalterlichen Wurzeln des Supplikenwesens im römisch-deutschen Reich bislang beinahe vollkommen vernachlässigt, während Suppliken bzw. Supplikenregister an der päpstlichen Kurie ein traditionelles Forschungsgebiet der Diplomatik darstellen und in den letzten Jahren auch das mittelalterliche Supplikenwesen in England und Teilen West- und Südeuropas zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen wurde.
Das Projekt zielt darauf ab, diese Forschungslücke für das römisch-deutsche Reich auf Grundlage einer umfassenden Quellenerschließung und –analyse zu schließen. Als Quellengrundlage dient dem Projekt ein in diesem Zusammenhang bislang kaum beachtetes Korpus spätmittelalterlicher Suppliken an den römisch-deutschen König bzw. Kaiser Friedrich III., das in zwei archivgeschichtlich eng zusammenhängenden Archivfonds in Wien und Innsbruck überliefert ist. Im Rahmen des Projekts wird in einem ersten Schritt dieses Quellenkorpus von mindestens 350 Suppliken gesichtet, digitalisiert und in Form einer Datenbank samt dazugehörigen Digitalisaten erfasst werden.
In einem weiteren Schritt erfolgt die Analyse der erschlossenen Suppliken aus hilfswissenschaftlich-quellenkundlicher Perspektive. Hierbei werden insbesondere paläographische und diplomatische Methoden angewandt, um Fragen nach Entstehung, Niederschrift und Einbringung von Suppliken am habsburgischen Hof zu untersuchen. Besonderes Augenmerk gilt dabei etwa dem Gebrauch formelhafter Wendungen im Text der eingebrachten Suppliken sowie der Frage nach Vorbildern und Entwicklung dieses Formulars. Mithilfe einer summarischen Analyse der sozialen und landschaftlichen Herkunft der Supplizierenden sowie der Inhalte der Suppliken werden Umfang und Reichweite dieses „Kommunikationskanals“ zwischen Herrschaft und Untertanen untersucht. Überdies soll aus verwaltungsgeschichtlicher Perspektive auf der Basis von Erledigungsvermerken auf den Suppliken sowie mithilfe ergänzender Quellen die Erledigung von eingereichten Bittschriften am römisch-deutschen Herrscherhof während des gewählten Untersuchungszeitraumes behandelt werden.
Der zweite Blickpunkt der Auswertung des Quellenbestandes bezieht sich stärker auf textliche Aspekte und biographische Auswertungsmöglichkeiten der erschlossenen Schriftstücke. Für die Untersuchung von Suppliken als „Ego-Dokumenten“ ist zu berücksichtigen, dass diese stets „funktionalen Charakter“ besitzen und behördlichen Anforderungen, d.h. zumeist einem bestimmen Formular, entsprechen mussten. Sofern es sich nicht um autographe Bittschriften handelt, trat darüber hinaus zwischen Supplikant und Adressat ein Schreiber, der nicht nur auf Wortwahl und Stil, sondern auch auf Argumentation und Aufbau des Schriftstücks Einfluss nehmen konnte. Otto Ulbricht hat die Interpretationsmöglichkeiten von frühneuzeitlichen Suppliken als Ego-Dokumente thematisiert, wobei die in diesem Zusammenhang formulierten Kriterien für die Analyse dieser Schriftstücke als Selbstzeugnisse erstmals auch für spätmittelalterliche Bittschriften an die römisch-deutschen Herrscher angewandt werden sollen. Obwohl der Gebrauch von stereotypen bzw. kodifizierten Formeln und bestimmten Argumentationsstrategien natürlich stets berücksichtigt werden muss, ermöglicht diese Form der Quellenanalyse nach intensiver Kontextualisierung der enthaltenen Informationen dennoch einen Blick auf ansonsten quellenmäßig kaum greifbare biographische Aspekte bzw. konkrete Probleme und Nöte der Supplizierenden.